I. Einleitung
Die Götterwelt der
Fergiatuya ist so vielfältig wie die Anzahl der verschiedenen
Stämme, die das Volk der Fergiatu ausmachen. Es gibt allerdings
auch viele Überschneidungen und im Laufe der Zeit kam es
zu Gleichsetzungen, die Götter miteinander verschmelzen und
sie mitunter bestimmte Eigenarten verlieren ließen.
Generell muß man weiterhin zwischen zwei großen Gruppen
von Göttern und religiösen Systemen unterscheiden: da
sind zum einen die rein fergiartischen Systeme und Götter
und sodann die Götter bzw. Systeme, die bei eroberten oder
unterworfenen Völkern zu Hause waren. Die Götter der
"zivilisierten" Welt (also der Reiche und Völker,
von denen wir schon Schriftquellen besitzen, als es die Fergiartuya
noch nicht zum Schreiben gebracht hatten) sind in ihren Ursprüngen
noch bekannt und häufig hat man auch aus fergiartischer Zeit
Schriftquellen zu ihren Wandlungen oder ihrer kontinuierlichen
Weiterentwicklung. Bei unterworfenen Völkern, die selbst
erst später zur Schrift kamen, tappen wir häufig im
Dunklen was die Ursprünge oder gar die Geschichte ihrer Götter
und Religion als solche betrifft. Hier sind wir oftmals auf Vermutungen
oder archäologische Funde angewiesen.
Als Untergruppe der fergiartischen Götter und Systeme können
wir ferner die im Laufe der fergiartischen Geschichte entstandenen
Kulte zählen. Auch hier kam es freilich zu Verschmelzungen,
oder es entstand beim Zusammentreffen zweier Systeme etwas neues.
Allerdings wollen wir hier die beiden großen neuen Kulte,
den Kyârismus und den Davânismus (dualistisches
System), unter der Bezeichnung "die philosophischen Systeme"
ausnehmen - wobei die Bezeichnung "philosophisch" mit
Vorsicht zu genießen ist, sind doch Religionen meistens
auch teilweise philosophisch und umgekehrt. In den fergiartischen
Schriftquellen werden diese beiden Kulte oft als die "Duya
Nova", die neuen Lehren bezeichnet.
II. Die fergiartische Götterwelt
In gewisser Weise gibt es
nur ein ziemlich genaues (kein sicher entscheidendes) Kriterium,
das es erlaubt, Götter und religiöse Systeme in diese
Kategorie einzuteilen. Und zwar ist dies die Zeit, bzw. die Länge
der geschichtlichen Existenz des religiösen Systems. Und
nach diesem Kriterium muß man die sieben, in Hakrivarg verehrten
Götter als das grundlegende fergiartische Religionssystem
annehmen. Ein Problem bei dieser Zusprechung ist die systematische
Geschlossenheit dieses Systems. Schließlich besitzen wir
erst seit ca. hundert Jahren vor dem Bau der sieben Tempel die
ersten Schriftquellen aus dem fergiartischen Raum. Und hier handelt
es sich meist um administrative Texte wie Handelsregister und
Inventarlisten, nicht dagegen um beschreibende oder analysierende
Texte kultureller Begebenheiten. Es könnte sich also bei
dem System der sieben Tempel und Götter durchaus auch um
ein über Jahrhunderte gewachsenes System der Urbevölkerung
handeln, das von den Eroberern angenommen wurde. Doch die geschichtliche
Geschlossenheit des Systems, die Unwissenheit über die prä-existenten
Glaubenssysteme dieses Raums, sowie die Tatsache, daß die
sieben Götter von Hakrivarg auch in der Zeit der fergiartischen
Dominanz auf dem Kontinent eine entscheidende Rolle spielten,
geben uns genügend Rechtfertigung an die Hand, um dieses
System als ursprünglich fergiartisch zu kennzeichnen. Wichtig
ist in diesem Zusammenhang sicherlich auch, daß bereits
der Tempel von Ketorimis (etwa fünfzig Jahre vorher
entstanden) dem Hauptgott des hakrivargischen Pantheons, Eramma,
geweiht war.
Allerdings zeigt der Umstand, daß die frühesten religiösen
Funde im Westen mit einem Gott namens Ohisa in Verbindung gebracht
werden können - und dieser Gott nicht zu dem System
der sieben Götter gehört -, wie problematisch eine solche
Zuweisung ist. Doch dazu später mehr.
Dem Bericht des Yainza
Eyeni aus dem Kolnan Sonun zufolge, einem wichtigen
religiösen Buch aus dem zweiten Jahrhundert, existierte am
Anfang der Welt nur ein chaotischer Urzustand, der von den Gelehrten
meist als das Nerel atte Tutan (das "Nichts und Alles")
bezeichnet wird. Irgendwann entstand dann in einem Ausbruch von
Licht der Hauptgott des fergiartischen Pantheons (bzw. der sieben
Götter von Hakrivarg), Eramma. Aus diesem Grund wird
Eramma in der fergiartischen Ikonographie oft in einem Strahlenkranz
sitzend dargestellt. Da dieser sich schließlich einsam zu
fühlen begann und um sich herum nur Leere vorfand, schuf
er sich eine Gefährtin. Und so entstand die Göttin Peyêna,
die aus der Hüfte Erammas entsprang. Anschließend gingen
Eramma und Peyêna daran, gegen die Leere etwas zu schaffen,
das Bestand haben sollte, wo vorher nichts gewesen war.
Für die Gelehrten Fergiatuyas ist die Welt, die Eramma und
Peyêna hervorbrachten, ständig vom Chaos bedroht. Die
Erde und der Himmel werden innerhalb der fergiartischen Ur-Religion
als Grenzen gegenüber dem Chaos begriffen und die Götter
und die Menschen stehen in einem ständigen Kampf gegen diese
Urmacht. Irgendwann wird die Welt - und damit auch die Götter
- in diesem Ringen untergehen und die Geschichte des Universums
in eine neue Phase treten. Wie diese weitere Entwicklung aussehen
wird, wird nach diesem Glauben auch von dem Verhalten der Götter
und Menschen abhängen. Diese eschatologische Komponente findet
sich auch in vielen anderen fergiartischen Systemen.
Die anderen fünf Götter dieses Pantheons sind:
Tarvîsa, der zauberkundige Erstgeborene der Peyêna,
Gott der Naturkräfte.
Biollna, der Gott des Krieges.
Die zwittrige Doppelgottheit der Liebe, Lonna/Milika.
Signi, die Göttin des Wandels und der Zeit.
Valsa, der Gott des Meeres.
Eramma und Peyêna werden zum einen einfach als Eltern der
Götter und Menschen verehrt; Peyêna ist aber auch Göttin
der Fruchtbarkeit, man nennt sie weiterhin auch Mêter
Genun, Mutter der Frauen. Bei Eramma gibt es dagegen keinen
festen Zustandsbereich. Außer seiner Schöpfer- und
Vaterrolle wird er häufig von den Gläubigen um Rat,
um Eingebungen gebeten (wie das auch bei Tarvîsa der Fall
ist); auch um Schutz vor Gefahren - vor allem um Schutz vor dem
Chaos - fleht man ihn an.
Von der Theologie her sind
mehrere Komponenten wichtig für die fergiartische Religion.
Die Theogonie dieses Systems bringt zwei wichtige Bestandteile
mit sich: zum einen gibt es ein wichtiges moralisches Element,
das nicht nur eine gottgefällige Lebensart fordert, sondern
auch die Rolle des Verhaltens jedes Einzelnen vor dem Hintergrund
der Bedrohung durch das Chaos betont. Ein moralisches Leben, moralisch
positive Verhaltensweisen, schieben den Sieg des Chaos weiter
hinaus. Zum anderen kommt eine Art wissenschaftliche Komponente
hinzu, da nämlich auch das Vergrößern des Wissens
der Menschheit - aber auch der Götter - den letztendlichen
Sieg des Chaos für umso länger aufhalten. Moralisches
Verhalten und das Bemühen um Steigerung des Wissens sind
somit beides Waffen von Göttern und Menschen im Kampf gegen
das Chaos.
Auf der anderen Seite steht wie in allen Religionen der Volksglaube,
der mehr vom Kult, von den religiösen Handlungen her bestimmt
ist. Hier spielt für die fergiartische Religion vor allem
das Gebet eine wichtige Rolle, wobei die Gläubigen durch
Rauchopfer, Musik und Reinigungszeremonien eine geeignete Stimmung
hervorzurufen bemüht sind. Während beim regulären
Gottesdienst besonders die Bitte um Führung und Beistand
im Ringen mit dem Chaos im Vordergrund stehen, finden sich bei
den Gebeten der Gläubigen natürlich auch Bitten um mehr
praktische Vorteile wie gesunde Kinder, die eigene Gesundheit
oder der Wohlstand. Das eschatologische Moment kommt aber auch
hier zum Tragen: Die Götter werden hierbei auch als Helfer
im Kampf gegen die ganz persönliche Bedrohung durch das Chaos
und alles, was man als Sendboten oder Ausprägungen dieser
Gegenmacht zur eigenen Welt versteht, angesehen. Mehrfach kam
es daher in der fergiartischen Geschichte etwa zur Empörung
der Gläubigen gegen die Alchemisten, die häufig als
Handlanger der Städte der Finsternis angesehen wurden. Dabei
spielte es weder eine Rolle, daß die Alchemie eigentlich
von den Inseln der Magier her "eingeführt" wurde,
noch ob es sich um fergiartische Magier (ferg. mêyala)
oder zugereiste Praktikanden handelt.
Die von der fergiartischen Religion geforderten Handelns- und Verhaltensweisen sind neben den häufig in Religionen vorzufindenden Geboten wie Gottesverehrung, Hilfe für Schwächere oder die Forderung nach regulären Gebeten, vor allem die Ermahnung zur Meditation und zur Suche nach Erkenntnis. Die Meditation dient dabei zum einen der Stärkung des Willens im Ringen mit dem Chaos, zum anderen aber auch dem Gewinn an Weisheit und Wissen. Dieses Bemühen um Fortschritt äußert sich besonders im Aufbau von Bibliotheken, aber als unterstützende Maßnahme auch im Bestreben der Priester von Hakrivarg, den Menschen elementare Grundkenntnisse wie Schreiben, Lesen und Argumentieren zu vermitteln. Dies führte, wie man schnell einsehen wird, öfters zu Konflikten mit den Herrschenden.
Freilich war auch das religiöse
System der sieben Götter nicht frei von religionsinternen
Konflikten. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Duya
Otinay Minay, die "Lehre vom geringeren Chaos".
Diese ging von einem immanenten Widerspruch der Jenseitslehre
aus. Der konservativen Sichtweise nach würde ja trotz des
Bemühens der Menschen und Götter das Chaos irgendwann
obsiegen. Danach aber würde eine neue Welt entstehen, die
umso besser sein würde, je länger die Menschen den Sieg
des Chaos hinauszögern konnten und je erfolgreicher sie in
der Bemühung um eine "richtige" Lebensweise waren.
War dann aber das Chaos nicht nur der Erfüllungsgehilfe der
Menschen und Götter? War der "Sieg" des Chaos dann
nicht nur noch seine "Niederlage"?
Andere fragten sogar noch weiter: Brauchte man das Chaos überhaupt
zu irgendetwas? Würde die Welt nicht sowieso "besser"
als zuvor, wenn die Menschen sich erfolgreich um eine bessere
Welt bemühten? Und umgekehrt wurde die Welt ja sowieso "schlechter",
wenn die Menschen von der moralischen Lebensweise abließen.
Das rührte natürlich an den Existenzgrundlagen der Priester!
Während die Priesterrolle
in der Zeit der fergiartischen Wanderung und allmählichen
Seßhaftwerdung häufig von den Ältesten einer Familie,
eines Stammes übernommen wurde, bildete sich seit der Gründung
der sieben Tempel in Hakrivarg eine eigene Priesterkaste
heraus. Diese betrieb eigens Schulen für den priesterlichen
Nachwuchs, die prinzipiell jedem offenstanden, der die Berufung
dazu fühlte. Da den fergiartischen Priestern nicht untersagt
wurde, Familien zu gründen, bestand aber auch hier ein ständiges
Reservoir an priesterlichem Nachwuchs. Ebensowenig waren Kinder
von Priestern aber dazu verdammt, Priester zu werden und so wurde
Hakrivarg zu einer Stadt, die zu einem großen Teil von klerikalen
Familien bewohnt wurde. Aber es zogen auch viele Menschen nach
Hakrivarg, die zwar keineswegs beabsichtigten, die priesterliche
Laufbahn einzuschlagen, aber aus spirituellen Bedürfnissen
heraus die Nähe der Priester und der Tempel suchten. So wurde
Hakrivarg allmählich auch jenseits der Prätentionen
der Priesterschaft zur heiligen Stadt Fergiartuyas.
Mit der Zeit gründeten die sieben Tempel auch Ableger in
anderen Städten, die sie dann mit den herangezogenen Priestern
bestückten. Aber die Priester, die durch die hakrivargische
Schule gegangen waren, waren auch in von den sieben großen
Tempeln unabhängigen heiligen Stätten begehrt. Oder
sie gründeten selber Tempel oder übernahmen vakante
Stellen.
Die sieben Tempel wurden jeweils von einer Art Kollegium "regiert".
Dabei gab es keinen Vorsitzenden im eigentlichen Sinne, sondern
meist übernahm der älteste Priester die Moderation solcher
Sitzungen. Mit der Gründung der Tempelableger nahm die Bedeutung
der Kollegien von Hakrivarg immer mehr zu. Allerdings waren sie
eher für kirchenrechtliche als für wirtschaftliche Fragen
verantwortlich, da die meisten Tempel sich bemühten autark
zu werden. Weiterhin entsendete jedes dieser Kollegien seinen
Vorsitzenden auch in den sogenannten Heiligen Rat, der als Stimme
der Priesterschaft der sieben Tempel nach außen hin auftrat
- bereits in den Verhandlungen mit Meyapotina nach der Eroberung
der Heiligen Stadt traten die sieben Tempel ja schon geschlossen
auf. Die damals erklärte Neutralität der Stadt durch
die sieben Tempel wurde von Meyapotina und seinen Nachfolgern
in der Regel auch weiterhin akzeptiert.
Neben der in den Tempeln
organisierten Priesterschaft mit ihren Familien gab es auch Fergiartuya,
die sich in Ordensgemeinschaften organisierten. Sie gründeten
Klöster in abgelegenen Gebieten und widmeten sich der gemeinsamen
Komtemplation und dem Gebet. Diese Orden wandten sich von der
Welt ab und sahen ihre Rolle darin, für ihre Mitmenschen
Erkenntnisse in Bezug auf die eschatologische Komponente ihres
Glaubens zu gewinnen. Naturgemäß spielt hier das Asketentum
(hanzatra = "der Asket") hier eine wichtige Rolle.
In mehr oder minder regelmäßigen Abständen gingen
sie dann wieder in die Welt hinaus und verkündeten ihre Wahrheiten
den Menschen auf den Marktplätzen oder vor den Tempeln. Natürlich
sah die Priesterschaft der sieben Tempel diese Orden durchaus
mißtrauisch, widersprachen ihre Glaubenssätze doch
mitunter der konservativen Sichtweise. Trotzdem gelang es den
Orden mit der Zeit, sich gegenüber der Priesterschaft zu
behaupten.
III. Weitere fergiartische Systeme
OHISA
Eine der nachweisbar ältesten religiösen Kulte der Fergiartuya
ist der um den Schlangengott Ohisa. Dieser Kult war jedoch
nie weit verbreitet und hat sein Zentrum zu Füßen der
Gebirgskette, die sich vom Egarsa zu den Inseln der Magier zieht,
dem Ahipassni. Ironischerweise bedeutet dieser Name "Drachenrücken".
Bei der Stadt Remayêka fand man dann auch in einem Fürstengrab
aus dem fünften Jahrhundert vor Meyapotina die Votivfigur
eines Mannes, der eine Schlange und ein Messer in seinen Händen
hält.
Bei dem Schlangengott Ohisa haben wir es mit einem der wenigen
Hauptgötter zu tun, vor dem sich die Gläubigen eher
fürchten, als daß sie ihn verehren. Nach dem Glauben
dieses Kultes handelt es sich bei Ohisa um eine riesige, schlafende
Schlange. Wenn diese Schlange aber einstens erwacht, wird sie
die Sonne verschlingen und die Welt der Menschen damit vernichten.
Die Aufgabe der Gläubigen ist es daher, das Erwachen der
riesigen Schlange zu verhindern oder doch zumindest zu verzögern.
Die irdischen Schlangen nehmen in dem Glauben der Schlangenkultler
eine ziemlich zwiespältige Rolle ein. Auf der einen Seite
wurden sie als die Kinder Ohisas angesehen; in dieser Rolle sind
sie einmal Boten und Agenten des Gottes, die in seinem Willen
agieren (obwohl er schläft, kann sein Geist doch mit den
Schlangen kommunizieren) und auf sein Erwachen hinarbeiten. Deshalb
wurden bei einem der wichtigsten Feste des Schlangenkultes Schlangen
rituell getötet und enthäutet. Aber da sie als Boten
des Gottes agieren, dienen sie den Gläubigen auch dazu, den
Schlaf des Gottes zu verlängern. Deshalb wurden bei dem zweiten
großen Fest des Kultes auch Schlangenbeschwörungen
und rituelle Tänze durchgeführt, die den Geist Ohisas
einlullen sollten.
Auf der anderen Seite sind die Schlangen aber auch nützliche
Wesen, da die Menschen -- indem sie sich ihrer bedienen -- an
den Kräften des Gottes teilhaben können. Daher nutzte
man etwa ihr Gift oder ihre Haut zu fruchtbarkeitsfördernden
Ritualen. Eine Schlange im Haus zu haben galt deshalb für
viele Gläubige als großes Glück und viele hielten
sich tatsächlich eine Hausschlange, um dieses Glück
zu kultivieren.
Eine Sekte von Assassinen, die in eher loser Verbindung zum Hauptkult
stand, bediente sich der Schlangen auch zur Herstellung verschiedener
Gifte, die sie bei ihren Morden verwandten. Diese als Nathriya
(Plural von Nathri) bezeichnete Sekte war vor allem im
Mittelreich (Meyamarga) zu finden.
DIE NORDÖSTLICHEN GÖTTER
Östlich des Gebietes der Senimarga, dem Siedlungsgebiet desjenigen
Stammes, der den Fergiartuya seit dem zweiten Jahrhundert n.M.
seinen Namen gab, glaubte man an ein Pantheon von verschiedenen
Gottheiten mit einem jeweils geregelten "Zuständigkeitsgebiet".
Wahrscheinlich ging dieses System von einem Naturglauben (Animismus)
mit starken schamanistischen Anklängen aus. Hier glaubte
man an Götter wie Ekona (Göttin der Pferde),
Dinna (Göttin des Morgenlichts) oder Belana (Gott der Jünglinge). Wie in
anderen Religionen, die von Naturgottheiten ausging, entwickelte
sich auch hier die Vorstellung einer Götterfamilie. Als Göttervater
wurde im Osten Trînya,
der Gott des Donners angesehen, der mit seiner Gattin Velapara
vier weitere Götter zeugte: den schon erwähnten Belana,
der auch als Gott der Jugend verehrt wurde, den Meeresherrscher
Blûsa (diese Form des Namens ist übrigens mit
dem des Meeresgottes Valsa aus dem Göttersystem von
Hakrivarg verwandt), sodann Sêgya, die Göttin
der Schönheit und Fîrya, den Gott des Krieges.
Mit seiner Tochter Sêgya schuf Trînya im Inzest den
Gott des Todes und der Unterwelt, Vûga. Neben diesen
sechs Hauptgöttern glaubte man im Osten an weitere Götter,
deren Herkunft meist durch Liebschaften der Götter untereinander
oder mit Menschen erklärt wurde. So etwa den klumpfüßigen
Gott der Dichtung und der Weisheit, Lapus, den Trînya
mit einer menschlichen Schönheit im Ahipassni gezeugt haben
soll, worauf der Sohn von der eifersüchtigen Gattin mit dem
Klumpfuß versehen wurde. Andere Götter wie Dinna existierten
neben dem Pantheon, während zum Beispiel die Göttin
Ekona aus dem Beischlaf des Göttervaters mit einer
Stute (!) hervorgegangen sein soll.
Im Unterschied zum im Reich vorherrschenden System von Hakrivarg,
war die Religion im Osten längst nicht so durchorganisiert.
Es gab zwar eine eigene Priesterschaft, doch war diese an die
einzelnen Tempel gebunden und jedemTempel standen höchstens
drei Priester vor. Die Nachfolge war häufig familiär
geregelt, so daß Tempel auch schon mal zugrunde gingen oder
die Gebetsstätten verlegt wurden, wenn niemand zur Nachfolge
anstand. Auf der anderen Seite war die Rolle des Kultus in dieser
Gegend persönlicher, d.h.man opferte entweder persönlich
vor dem Hausaltar oder an heiligen Stätten wie Quellen etc.,
oder man bezahlte den Priester dafür, daß er für
einen ein Opfer darbrachte, sei es ein Tier oder ähnliches.
Der Glaube war hier weniger abstrakt und kam ohne eschatologisches
Moment aus. Adlige Familien des Ostens pflegten oftmals auch den
Kontakt zu beiden religiösen Systemen, dem von Hakrivarg
ebenso wie zu der örtlichen Religion. Und obwohl der Parsha
seinen Regierungssitz im Osten hatte, kam es zu wenigen Konflikten
der beiden Religionen untereinander. Häufig herrschte auf
dem Land der örtliche Glaube während in den Städten
das Siebenersystem bevorzugt wurde. Da die Tempel der östlichen
Religion auch keine "institutive" Bedrohung wie etwa
der Kyârismus darstellten, kamen beide Systeme relativ gut
miteinander aus, auch wenn es regelmäßig zu Bekehrungsversuchen
auf dem Land kam.
GÖTTER DER MARIMARGA
Der fergiartische Stamm, der sich an der Straße von Ghormas
niederließ, besaß zunächst ein Göttersystem,
das denen der östlichen Götter ähnelte. Der Obergott
dieses Pantheons war Yûna, wie Trînya ein Gott der Naturgewalten. Ihm
liiert war die Göttin Alena, die für die Fruchtbarkeit
und die Ernte zuständig war. Im Unterschied zu den Göttern
der eigentlichen Fergiartu waren die "familiären"
Beziehungen der Götter untereinander in diesem Pantheon längst
nicht so ausgeprägt. Yûna und Alena hatten einen Sohn
namens Biolli (manchmal auch Biolni genannt), ein
Gott des Krieges wie Biollna im Siebenersystem. In manchen Gegenden
der Marimarga (und später auch des Mittelreiches, Meyamarga)
wurde Biolli dagegen als Bruder der Liebes- und Schönheitsgöttin
Kavîna verehrt.
Im Zuge der Ausdehnung des Herrschaftsgebiets und der damit verbundenen
Vermischung mit indigenen Stämmen kamen die fergiartischen
Eroberer in Kontakt mit einem Feuerkult. Diese Hurka genannte
Religion (als Grundform wird in der Forschung meist ein Wort "xurka"
[xurka:] angenommen, das von den Fergiartuya
wohl mit der Wurzel [her-] für "brennen" in Verbindung
gebracht wurde) ging von einem elementaren Konflikt zwischen Licht
und Finsternis aus, wobei das Feuer die Macht des Lichts und die
Nacht diejenige der Finsternis verkörperte. Das Feuer reinigte
hierbei die Menschen und hielt mit seiner Macht die Finsternis
fern. Auf kultischer Ebene spielten in dieser Religion vor allem
die Prayête Blagni, die Feuertänzer, eine wichtige
Rolle. Hierbei handelte es sich um Kultgemeinschaften, die den
religiösen Akt des Feuertanzes stellvertretend für die
anderen Gläubigen vollzogen. Der Tanz um das Feuer und der
Sprung durch die Flammen galt als reinigend. Durch die Berührung
der Tänzer nach dem Prauya Blagni wurde die reinigende
Kraft des Feuers an die Gläubigen weitergegeben. Zu den Prayête
zu gehören war nicht nur eine große Ehre, sondern brachte
auch viele materielle Vorzüge mit sich, da die Kultgemeinschaften
sich für ihre Mitglieder bei der Berufswahl oder der Wohnungssuche
einsetzten. Der Adel und die reichen Kaufleute versahen die Prayête
darüber hinaus mit großen Schenkungen, von denen die
Mitglieder und ihre Familien profitierten. Dieses System war bereits
vor der Vereinigung der Marimarga mit dem fergiartischen Reich
voll ausgeprägt, so daß die Gemeinschaften der Feuertänzer
auch gegenüber der Reichsreligion bestehen konnte. Und das,
obwohl auch die Hurka-Anhänger in den Konflikt um den Davânismus
mit hineingezogen wurden. Die davânistischen Religionskriege
konnten die Hurka-Anhänger relativ unbeschadet überstehen,
weil sich der Loinna und die Adligen der Marimarga für sie
einsetzten.
Durch den Kontakt mit der indigenen Religion wurde der fergiartische
Gott Yûna zu einer Art Schutzherr des Feuers, zumal seine
Attribute der Naturmacht des Feuers vergleichbar waren. Das Geschwisterpaar
Biolli/Kavîna konnte ebenfalls neben der Hurka bestehen,
fand seine Anhänger jedoch eher auf dem Land, zum Teil aber
auch bei den fergiartischen Adligen.