Die Gesellschaft der Fergiartuya

II. Die frühe Gesellschaft

Schauen wir also noch einmal auf die frühen Spuren und versuchen wir einige Anhaltspunkte für unsere spätere Untersuchung zu finden. Die erste Fundstätte, das "Fürstengrab" von Remayêka, stammt aus der Zeit um 600 v.M. Zu dieser Zeit muß der Stamm, dem dieser Fürst wahrscheinlich voranstand, noch nomadisch gelebt haben. Da die ersten Siedlungsspuren über fünfzig Jahre älter sind, müssen wir das zumindest vermuten. Aber eigentlich scheint ein Fürstengrab wenig zu Nomaden zu passen; hier würde man eher eine Brandbestattung oder eine Aussetzung der Leiche an der Natur erwarten. Vielleicht handelt es sich also um eine Übergangszeit, in der die Fergiartuya noch überwiegend nomadisch veranlagt waren. Dafür spricht auch der Umstand, daß man mit dem Mann Pferde und Schafe begraben hat. Weniger wiederum passen die Bronzeklingen in dieses Bild, denn wo soll das Metall zur Herstellung dafür hergekommen sein? Bergwerke oder Schmiedestätten aus dieser Gegend sind erst wesentlich später zu finden. Wahrscheinlich handelt es sich also um Tausch- oder Beutegut. Leider sind auf den Klingen keine Signaturen oder ähnliches angebracht worden, so daß man nicht sagen kann, woher sie gekommen sind. Die wahrscheinlichsten Quellen sind die Inseln der Magier oder die Städte der Finsternis. Auch die Klingen wurden für die Eroberungsthese ins Feld geführt. Dagegen spricht wiederum das Fehlen von Siedlungsspuren der Fergiartuya aus dieser Zeit. Wenn man allerdings annimmt, daß die autochthonen Bewohner dieser Gebiete Handel getrieben haben und die Fergiartuya die Klingen von diesen Bewohnern erworben haben - auch welche Weise auch immer --, so ist die These nicht mehr so ganz zwingend.

Wie dem auch sei, jedenfalls sprechen die Pferde- und Schafsknochen eine deutlichere Sprache. Beides sind durchaus gängige Funde für Nomadenvölker. Die Votivstatue des "Schlangenmannes" hat in diesem Zusammenhang wenig Aussagekraft, läßt sich eine Lehmstatue doch relativ einfach in einem Lagerfeuer brennen. Ob sie wirklich mit dem Gott Ohisa zusammenhängt, ist für unsere Belange vor allem daher interessant, weil sie die Vermutung zuläßt, daß der Stamm, der das Fürstengrab hinterlassen hat, nach Südwesten weitergezogen ist. Allerdings sind die Spuren in Remayêka nicht gehaltvoll genug, um Material für Vergleiche zu liefern. Auch über die gesellschaftliche Ordnung dieses Stammes läßt sich nur sagen, daß er wahrscheinlich einen (oder mehrere) Anführer hatte, dessen Status sie durch wertvolle Grabbeigaben ehrten.

Um 525 v.M. entstanden die ersten Siedlungsspuren der Fergiartuya. Man ist sich in der Forschung nicht einig, ob die Pfostenlöcher in der Bucht von Valyêkana auf ein Nomadenlager oder auf ein Dorf hinweisen, zumal man keine Befestigungsreste entdecken konnte. Die glasierten Tonscherben und Schmuckstücke, die man hier zahlreich fand, lassen aber eher auf eine feste Siedlung schließen. Es könnte sich selbstverständlich um eine Eroberung handeln, aber man hat keine Brandspuren oder ähnliches gefunden.

Anscheinend spielten Priester oder heilige Männer eine wichtige Rolle im Alltag dieser Fergiartuya. Vermutlich waren die Rollen in diesem Bereich noch wenig ausgeprägt und so muß man wohl eher von einem schamanistischen Glaubenssystem sprechen. Unterstützt wird diese These von dem Umstand, daß man im Osten weniger an das
Siebenersystem von Hakrivarg, als an Götter wie Trînya und Belana glaubte. Die wichtigste Frage im Zusammenhang mit den Funden in der Bucht von Valyêkana ist jedoch, ob es sich bei den Bewohnern, die diese Siedlung gebaut hatten, schon um den Stamm der Fergiartu handelte. Nun gibt es bei den Funden - vor allem bei den Schmuckstücken - durchaus Ähnlichkeiten mit den handwerklichen Erzeugnissen der Fergiartu. Leider aber auch mit denen anderer fergiartischer Stämme. Man geht deshalb in der Forschung davon aus, daß die Funde aus einer relativ einheitlichen Phase der kulturellen Entwicklung der fergiartischen Stämme stammen. Etwas eigentümlicher ist die Krone am Stab des "Königs von Valyêkana", da sich dieses Gestaltungsmerkmal im dritten Jahrhundert n.M. von den Wohngebieten der Fergiartu nördlich des Ahipassni ausgehend verbreitet hat. In der Zeit des fergiartischen Großreiches führten nur noch die Parshu dieses Herrschaftszeichen.

Interessant ist weiterhin die Leiche mit der Schädelfraktur. Allerdings paßt dieser Fund wenig zum Stamm der Fergiartu und ist eher weiter westlich in der Senimarga anzutreffen. Auch dieser Umstand spricht gegen eine Identifizierung der in der Bucht lebenden Stämme mit dem eigentlichen Stamm der Fergiartu. Allerdings kann der hier ansässige Stamm durchaus ein Substrat in der Gesellschaft der Fergiartu dargestellt haben. Vielleicht ist der Stamm auch später nach Westen abgewandert, als sich die Fergiartu in der Bucht niederließen. Ebenso ist natürlich möglich, daß der Mann seine Verletzung bei einer Kampfhandlung erhielt und nach seinem Tod (vielleicht in Folge der Verletzung) ordentlich begraben wurde.

Die Funde bei Egarsa stammen aus einer kulturell höheren Phase der fergiartischen Entwicklung. Auch wenn man annehmen möchte, daß der hier ansässige Stamm das Bergwerk von einem höher entwickelten indigenen Volk übernommen hat, sso ist dies nicht unbedingt ein Widerspruch. Und im Unterschied zu den zuerst genannten Fundgebieten gibt der Brandaltar relativ sichere Hinweise zur Zugehörigkeit des hier lebenden Stammes. Da der Gott Puranka vor allem dem Stamm der Divasûnî heilig war, die sich als dessen Abkömmlinge verstanden, nennt man die Bewohner des Egarsa aus dieser Zeit auch Proto-Divasûnî. Außerdem wurde die Schmiede des Feuers wegen als dem Gott heilig angesehen. Somit kann man zumindest hier eine relativ deutliche Zuordnung der Funde und der Bewohner vornehmen. In späterer Zeit hat sich das Siebenersystem der fergiartischen Hochreligion allerdings auch hier durchgesetzt; der Gott Puranka wurde hier aber weiter verehrt und konnte relativ unbeschadet neben der Hochreligion bestehen.

Vor der Entstehung des ersten fergiartischen Königreiches können wir also ein kurzes - wenn auch nicht allzu aussagefähiges - Fazit ziehen: Zwischen dem Einwandern der ersten fergiartischen Stämme im achten Jahrhundert und dem sechsten, spätestens dem fünften vor-meyapotinischen Jahrhundert muß man die Fergiartu noch als vorwiegend nomadisches Volk ansehen. Wie die Funde von Remayêka andeuten, wurden die Stämme von Fürstenfamilien regiert, wobei der Fürst wohl vor allem durch seine Führungstätigkeit auf dem Marsch und der Erledigung der für ein Volk auf der Wanderschaft anliegenden Geschäfte wie Festlegung und Überwachung der Marschordnung, Aufrechterhaltung der Ordnung im Lager und Organisation der den Volkszug bewachenden Reiter zu Ansehen gelangt. Vielleicht wurde seine Person auch als halbgöttlich angesehen, wenn man von den reichen Grabbeigaben in Remayêka her verallgemeinert. Pferde waren als Zug-, wenn nicht als Reittiere wichtig und Schafe machten den Reichtum und die Grundernährung des Stammes aus. Als wichtigste religiöse Autorität werden Schamanen und vielleicht die als sakrosankt geltenden Fürsten fungiert haben. Wenn man sich die Ungewißheit eines Volkes auf Wanderung vorstellt - so militärisch stark die Krieger auch sein mögen -, dann wird man die Wichtigkeit ihrer Orakel und Visionen erahnen können.
Bei den weiter nach Osten vordringenden Stämmen blieb das Nomadentum wohl bis ins vierte Jahrhundert n.M. bestehen und die Stämme, die zur Straße von
Ghormas wanderten, tauchen im ersten Jahrhundert vor Meyapotina bereits als seßhafte Stämme auf. Im Westen muß man wohl ab dem 4. Jahrhundert v.M. von einer allgemeinen Seßhaftigkeit sprechen.
Einzelne Fergiartuya dürften aber auch in dieser Zeit noch bis zu den Inseln der Magier vorgedrungen sein. Allerdings gründeten sie hier schnell erste Siedlungen. Noch bis ins sechste Jahrhundert muß man wohl von einem relativ einheitlichen Stand der kulturellen Entwicklung ausgehen. Als unterste Grenze dürfte - zumindest im Westen - die Zeit des ausgehenden fünften Jahrhunderts gelten. Leider fehlen bislang noch Funde aus dem Gebiet zwischen dem westlichen und dem Gebirge, das die Maqára bewohnten; ebenso wie Siedlungsspuren aus dem fünften Jahrhundert.