Die Gesellschaft der Fergiartuya

IV. Die Gesellschaft der Marimarga


In der Mitte des zweiten Jahrhunderts vor Meyapotina sind an der
"Straße von Ghormas" (die das westliche vom östlichen Südmeer trennt) zwei fergiartische Siedlungen entstanden. Die Fundorte dieser Siedlungsspuren liegen so weit auseinander, daß man nicht von einer Verbindung der beiden Siedlungen ausgehen kann. Wann die Fergiartuya in diese Gegend eingefallen sind, konnte bisher nicht festgestellt werden. Man geht aber gemeinhin von etwa einem Jahrhundert aus, so daß die hier siedelnden fergiartischen Stämme entweder mit denjenigen Fergiartuya verwandt sein müßten, die westlich der Inseln der Magier lebten, oder aber von Stämmen abstammten, die einen "Umweg" über den Ahipassni gemacht hatten. Von den sprachlichen Strukturen ist in dieser Frage keine Entscheidungshilfen zu erwarten, da die ersten bekannten Namen aus dem ersten Jahrhundert nach Meyapotina stammen. Diese sind aber zumeist in der Form der Hochsprache überliefert, da die Verschriftung erst im zweiten Jahrhundert nach Meyapotina einsetzt.

Die beiden Siedlungen existierten etwa fünfzig Jahre, bis sie um 100 v.M. zerstört wurden. Die Grabungsergebnisse liefern das Bild einer vorwiegend agrarischen Gesellschaft, die sich um städtische Zentren herum konzentrierte. Die beiden Siedlungen dürften auch keine Ausnahmen dargestellt haben, da der Aufstieg der Marimarga bereits um die Zeitenwende herum einsetzte. Ein Königreich wie das des
Hvelibìya entsteht schließlich nicht über Nacht. Aus welchen Gründen die beiden Siedlungen schließlich untergingen, ist nicht geklärt. Aber es ist gut möglich, daß entweder eine zweite fergiartische Siedlungswelle eintraf, oder daß der Niedergang schon mit Verwerfungen innerhalb der ansässigen fergiartischen Bevölkerung zusammenhing. Auch der Umstand, daß das Zentrum der Marimarga weiter nördlich lag, deutet darauf hin.

Wenn der Aufstieg des Reiches auch erst ab 75 n.M. mit dem Vordringen nach Norden unter Hvelibìya begann, so deuten die weiteren Funde aus der Marimarga auf eine Entstehung des Reiches in der Zeit zwischen 50 v.M. und 25 n.M. hin. Wenn die ersten fergiartischen Siedler sich noch vorwiegend am Meer niederließen (wie die beiden Siedlungsfunde andeuten), so lag das Kerngebiet der Marimarga weiter im Inland als die beiden Siedlungen. Auch hier entwickelten sich naturgemäß agrarische Strukturen, doch im Unterschied zur Senimarga entstand in der Marimarga eine bedeutende Schicht von
adligen Großgrundbesitzern, welche die Geschicke und die Entwicklung des Reiches prägte. Aber im Unterschied auch zu den ersten Siedlungsspuren in diesem Gebiet fehlten dem Kerngebiet zunächst die städtischen Zentren. Anscheinend entstand die fergiartische Herrschaft in diesem Gebiet durch die Unterwerfung indigener Stämme, die dann den Eroberern als Leibeigene bei der Bewirtschaftung großer Gehöfte helfen mußten. Aus der späteren Entwicklung läßt sich aber auch ablesen, daß es innerhalb der fergiartischen Stämme hier größere Unterschiede gab als im Westen. So existierte zur Zeit Hvelibìyas eine Schicht von Kleinbauern und Pächtern, die ihr Tagewerk in Abhängigkeit der Großgrundbesitzer vollbrachten. Während die Großgrundbesitzer zugleich auch Krieger waren, die in der Frühzeit durch die Verwendung der leichten Streitwagen ausgezeichnet waren, stellten die abhängigen Bauern ein mit Bögen und Spießen ausgerüstetes, leicht gewappnetes Fußvolk. Den Leibeigenen blieb die Verwendung von Waffen zunächst gänzlich untersagt.

Größere Siedlungen konnten unter diesen Vorzeichen anfangs nicht bestehen, wenn es abseits des vom Großgrundbesitz okkupierten Landes auch Dörfer mit kleineren Bauern gab, die ihre kleineren Äcker zum Teil gemeinschaftlich bewirtschafteten. Teilweise existierten diese Dörfer jenseits der Kerngebietes der Marimarga. Doch erst als die Fergiartuya hier unter der Führung Hvelibìyas nach Norden vorstießen, konnten aus Siedlungen anderer Stämme städtische Zentren entstehen. Allerdings gab es außerhalb des Kerngebietes auch fergiartische Siedlungen, so etwa das spätere Havarôla, das etwa ab der Zeit Meyapotinas besiedelt wurde.

Auch der Handel scheint im Kerngebiet noch wenig entwickelt gewesen zu sein. Schließlich hatten die Großgrundbesitzer und ihre abhängigen Pächter wenig Bedarf als Handelsgütern. Einzig Bronze scheint in größeren Mengen importiert worden zu sein. Im Jahr 25 n.M. taucht in den Quellen erstmals eine Gilde der Erz- und Eisenhändler auf, die bis auf die eben angesprochene Zeit zurückgehen dürfte. Ob die Händler zunächst Fremde oder Einheimische waren, ist unbekannt. Bedeutender war hier schon das Handwerk, das vor allem für Kleinbauern mit wenig Grundbesitz als Alternative zum Erwerb des Lebensunterhalts in Frage kam. Eine agrarische Gesellschaft kann die meisten Dinge des Lebens ja selbst herstellen, so daß grundlegende Fähigkeiten schon vorhanden sind, auf denen sich dann eine spezialisierte Handwerkstätigkeit entwickeln kann. Im Zuge der Reichsausdehnung kam dann von außen neues Wissen hinzu.

Warum neben den Großgrundbesitzern ein König bestehen konnte, bleibt ungeklärt. Anscheinend konnten sich die Loinnu auf der Grundlage des eigenen Besitzes und der Macht der Tradition behaupten. Mit Hvelibìya scheint zudem ein charismatischer und kriegerisch geschulter König an die Spitze seines Volkes getreten zu sein, dem die Adligen bereitwillig folgten. Es ist wenig über die genauen Umstände der Ausdehnung bekannt, da die Frühgeschichte der eroberten Gebiete außerhalb des fergiartischen Wirkungsbereiches wenig erforscht ist. Jedenfalls findet sich die Erscheinung des Großgrundbesitzes auch außerhalb des Kerngebietes. Jüngere, nicht erbberechtigte Söhne scheinen sich hier neues Land erschlossen zu haben. Es scheint auch wenig traditionelle Bindungen zwischen den Familienzweigen gegeben zu haben, was aber auch durch die spätere Entwicklung und die schlechte Quellenlage vor 100/125 n.M. bedingt sein mag. Im Unterschied zum Kerngebiet kam es in den nördlichen Gebieten der Marimarga aber auch zu einer stärkeren Vermischung mit den Unterworfenen. Dabei fanden wohl auch die Eigenarten der autochthonen Bevölkerung Eingang in die Lebensgewohnheiten der Eroberer, wie etwa das Überleben des "Feuertanzes" (Hurka) zeigt.

Ab 75 n.M. begann dann der bereits erwähnte Hvelibìya mit der Ausdehnung des Reiches nach Norden. Hvelibìya war mit fünfundzwanzig Jahren an die Macht gekommen und hatte es in nur fünf Jahren fertiggebracht, die großgrundbesitzenden Adligen auf seine Expansionspolitik einzuschwören. Das war ihm sicherlich dadurch erleichtert worden, daß die Fergiartuya keine ernstzunehmende Großmacht in der unmittelbaren Nachbarschaft gegen sich hatten. Dennoch ist es ja kein geringes Verdienst, eine Schicht selbstgenügsamer Herren für ein gemeinsames Ziel zu gewinnen. In dieser Hinsicht ist er sicherlich mit Meyapotina zu vergleichen, der allerdings nur die Trümmer eines zerfallenden Reiches zusammenzuklauben brauchte.

Mit ihren Streitwagen waren die Fergiartuya ihren Nachbarn militärisch überlegen. Und so trug sie ihr Siegeszug in kurzer Zeit bis zu dem großen Fluß Diskêsa, der im maqárischen Gebirgsmassiv beginnt und nördlich von Ganira ins Südmeer fließt. Auch im Südwesten konnte Hevlibìya sein Reich bis zu einem der frühen Siedlungsgebiete ausdehnen. Hier dürfte man wohl auch auf fergiartische Bewohner gestoßen sein. Wie aus den (zugegebenermaßen erst später erstandenen) Chroniken und aus der Zeit des Fergiartischen Großreiches hervorgeht, hat Hvelibìya für die eroberten Gebiete eine Art Herzog ernannt, der die militärische und administrative Verwaltung für den Herrscher übernahm. Diese als
Patìsha bezeichneten Statthalter wurden später im Rang eines Saranna in den Reichsrat des Fergiartischen Reiches integriert. Auch bei den späteren Eroberungen wurde dieses Prinzip in der Marimarga beibehalten.. Diese Statthalter unterhielten jeweils ein kleines Heer, das für polizeiliche und repräsentative, sowie für militärische Aufgaben zuständig war. Diese Truppen wurden außer während des Thronfolgekriegs (180 - 193 n.M.) erstaunlicherweise nie gegen den Herrscher der Marimarga eingesetzt. Das lag zum einen daran, daß das Amt des Patìsha nicht erblich war, obwohl der Herrscher der Marimarga häufiger den Erbfolger berücksichtigte. Zum anderen war die Truppenstärke scharf umgrenzt, wenn es auch je nach Gebiet Unterschiede gab. Für den Loinna der Marimarga waren diese Provinztruppen aber im Kriegsfall sehr wichtig, wie die Auseinandersetzung mit den Iaxenioi ab 150 n.M. zeigt. Sie konnten einen eingefallenen Feind zum einen so lange beschäftigen, bis die Krieger des Reiches mobilisiert waren. Zum anderen bildeten sie mit ihrer Erfahrung und ihren eingeübten Taktiken den Kern des Reichsheeres.

Bei ihrem Eroberungszug trafen die Fergiartuya der Marimarga auch auf städtische Zentren, die sie in der Folgezeit erweiterten. Diese Städte stellten auch einen Anziehungspunkt für diejenigen Fergiartuya dar, die unter der herrschenden Adelsschicht im Kerngebiet des Reiches keinen geeigneten Lebensunterhalt fanden. Zwar war die Mobilität der Leibeigenen stark beschränkt, doch für Kleinbauern und Pächter, die den Anforderungen bzw. der Konkurrenz ihrer Herren nicht gewachsen waren, stellten die Städte des Nordens(und später des Westens) eine chancenreiche Alternative dar. Als Angehörige des Eroberervolks konnten sie darauf hoffen, sich in den Städten eine Existenz aufbauen zu können. Vor allem in der frühen Phase der fergiartischen Herrschaft hatten Menschen mit Geschick und Umsicht in den Städten große Chancen. Handwerker waren immer gefragt und im erweiterten Siedlungsgebiet gab es auch für den Handel größere Möglichkeiten als im agrarischen Kerngebiet. Dennoch entstanden auch dort mit der Zeit einige wenige städtische Zentren.

Im Norden konkurrierten die Städte mit den ebenfalls existierenden adligen
Grundbesitzern. Diese waren selbstverständlich nicht gewillt, ihre Privilegien und ihre Macht aufzugeben. Sie bemühten sich nach Kräften, die Abwanderung ihrer Arbeitskräfte in die Städte zu verhindern und versuchten die Versorgung der Städte mit Getreide und Fleisch zu unterbinden. Als Antwort darauf entstanden rings um die Städte kleine landwirtschaftliche Betriebe, die zum Teil von den Stadtbewohnern, zum Teil von zuwandernden Kleinbauern und Pächtern aus dem Süden bewirtschaftet wurden. Militärische Maßnahmen gegen die Städte wurden jedoch von den Truppen der Statthalter unterbunden. Zwar waren auch die Statthalter Adlige, doch sie besaßen ihre Position nur auf Abruf. Um sie zu einer neutralen Haltung zu ermuntern, räumte der Loinna ihnen gewisse Privilegien ein. Ein Gesetz aus der Zeit des fergiartischen Großreiches bestätigt ihnen steuerliche Vorteile, "wie sie der Fürst der Marimarga ihnen seit Alters her gewährt." Auch beim Handel mit den Städten wurden den Patìshu bestimmte Vorrechte eingeräumt. So hatten sie auf Märkten ein "Erstkaufrecht" auf Luxusgüter; d.h., wenn in einer Stadt neue Luxusgüter auf dem Markt angeboten wurden, durfte der Statthalter die Ware als erster begutachten und seine Auswahl treffen. Das war wohlgemerkt ein vom Loinna eingeräumtes Recht. Die Städte versuchten verständlicherweise auch selbst, durch Gewährung von Vorrechten den Statthalter auf ihre Seite zu ziehen. Mit der Zeit dürften die Kämpfe um die Vorherrschaft abgeklungen sein, so daß beide Seiten zu bestehen vermochten. Außerdem hatte der entstehende Handel ja auch Vorteile für die Grundbesitzer, die etwa mit ihren Nahrungsmitteln auf den Märkten der Stadt den Preis diktieren konnten. Vor allem, als die Bevölkerung etwa ab dem Ende des ersten Jahrhunderts zu wachsen begann, konnten die Städte den Bedarf an Getreide und Fleisch oft nicht mehr selbst decken. Auf dem agrarischen Sektor konnten die Landbesitzer ihre Vormachtstellung daher sogar ausbauen.

Abseits der Städte setzten die Großgrundbesitzer ihre Politik der Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung weiterhin durch. Die unterworfene Landbevölkerung wurde wiederum großteils zu Leibeigenen gemacht, wenn sich ein adliger Fergiartu einen Hof und eine Existenz im eroberten Gebiet aufbaute. Es gab allerdings auch durchaus indigene Bauern, die sich ihre Unabhängigkeit bewahren konnten. Das Land wurde also nicht etwa planmäßig auf die Eroberer aufgeteilt; allerdings hinderte auch niemand einen Adligen daran, sich das Land eines Einheimischen zu nehmen; es sei denn, dieser konnte sich militärisch behaupten. Zum Teil hing das auch von der jeweiligen Lage eines Hofes, zum Teil von seiner Größe ab. Auch in den Städten konnten Teile der unterworfenen Bevölkerung ihr Auskommen finden. Allerdings wurde der Zuzug von Leibeigenen gesetzlich unterbunden.

War die Ausdehnung nach Norden noch auch dem Bevölkerungswachstum in den Kernlanden zu schulden gewesen, so war die Expansion nach Westen unter den Egripaten der eindeutige Versuch der Herrscher, die eigene Macht zu vergrößern. Hatte man der unterworfene Bevölkerung vorher noch das Land gestohlen, so unterwarf man sie jetzt "nur" der eigenen Herrschaft. Oder jedenfalls fast, denn natürlich gab es unter den Kriegern auch jetzt solche, die sich in der eroberten Fremde eine eigene Existenz aufbauen wollten. Aber im Westen war der Anteil der indigenen Bevölkerung an der besitzenden Schicht wesentlich höher als im Rest der Marimarga - und das auch auf dem Land. Zwar entwickelte sich auch hier fergiartischer Grundbesitz, der dem im Osten vergleichbar war, aber die Schicht der Großgrundbesitzer war im Verhältnis kleiner. Statt dessen gab es im Westen einen größeren Anteil an unabhängigen kleineren Höfen und Dörfern. Im Unterschied zum Osten wurde den Unterworfenen im Westen aber eine Kopfsteuer aufgezwungen, von der die Aufrechterhaltung der Herrschaft bezahlt wurde. Die eroberten Städte wurden dagegen denen im Osten gleichgestellt, trugen allerdings Städte eine höhere Steuerlast. Zum Teil entstand dadurch eine Abwanderung von Bewohnern in den Osten.

Im Unterschied zur Ausdehnung nach Norden, stellte die Erweiterung des Reiches nach Westen eine von mehreren Herrschern betriebene Expansionspolitik von fast sechzig Jahren dar. Die Eroberung geschah in Schüben, manchmal durchaus auch unter friedlichen Bedingungen. Das jedenfalls läßt sich aus einem in Alataris entstandenen Bericht erschließen, in dem es um die Aufnahme einer Stadt namens
Padêra (Padeira) geht, die ursprünglich zum weiteren Einzugsgebiet von Alataris gehörte. Diese Stadt schloß im Jahre 122 n.M. einen Vertrag mit dem Loinna der Marimarga, in dem für die Gewährung gewisser Handelsprivilegien und Steuererleichterungen ein Beitritt zum Reich angeboten wurde. Am östlichen Rand des alatarischen Herrschaftsgebietes gab es einige unabhängige Städte, die sich über Generationen der direkten Herrschaft von Alataris entziehen konnten. Zwar hatten sie Steuern an die Vormacht der Inseln der Magier gezahlt, wurden aber autonom regiert; zumeist von Stadträten.
Weil die beiden Mächte Alataris und die Marimarga in dieser Zeit noch keine direkten Gegner waren, fand man sich in Alataris mit dem Verlust des Einflusses in Padêra ab.

Durch die nur schubweise stattfindende Ausdehnung gab es zwischendurch immer genügend Zeit, um die eroberten Gebiete in die bestehenden Strukturen einzubinden. Wie im Norden kreierte man auch im Westen Patìshu, welche der verlängerte Arm des Herrschers waren. Im Unterschied zu der doch eher administrativen Macht des Herrschers in der Senimarga und in Satisanzia, bemühten sich die Loinna der Egripaten um eine Ausdehnung ihres eigenen Besitzes und damit der eigenen Macht. So wurden immer wieder einzelne Landstriche des eroberten Gebietes von diesen in Beschlag genommen. Auf dem so gebildeten "Kronland" (Lunnêta) wurden dann große Gehöfte errichtet, die von Pächtern für den Herrscher bewirtschaftet wurden. Dabei handelte es sich vor allem um Kleinbauern, die dafür, daß sie sich bereit erklärten als Pächter auf dem Land des Loinna zu arbeiten, von diesem die Erlaubnis bekamen, einen Teil der erwirtschafteten Ernte etc. für den Eigenbedarf abzuzweigen. Meist bewirtschafteten mehrere Kleinbauern mit ihren Familien ein solches Gehöft, doch es gab auch kleinere Betriebe, die nur von einem Kleinbauern samt Familie betreut wurden. Insgesamt verzeichnet eine Liste aus dem dritten Jahrhundert n.M. einhundertundfünf Gehöfte auf Kronland. Allerdings gab es auch Kronland von einer solchen Ausdehnung, daß zwei oder drei Gehöfte auf ihm Platz fanden. Auf diese Weise gehörte dem Loinna der Marimarga etwa 15 Prozent des Reichsgebietes.

Natürlich war die Versuchung der Pächter groß, sich mehr als den ihnen zustehenden Anteil am Ertrag der Gehöfte einzuverleiben. Zur Kontrolle entsandte der König einmal jährlich einen Beamten, der die Höfe kontrollierte. Um Bestechungsversuchen vorzubeugen, wechselten die Beamten, denen die Kontrollaufgabe zufiel. Erwirtschaftete ein Pächter weniger als der Hof hergeben konnte, wurde er vom Loinna ausgewechselt. Teilweise wurde er auch finanziell zur Rechenschaft gezogen. All diese Maßnahmen sorgten dafür, daß der Reichtum und die Macht des Loinna wuchsen. Der auf dem Kronland erwirtschaftete Gewinn wurden in den Ausbau der Infrastruktur sowie in ein ab 136 n.M. entstehendes, aus jungen Adligen, Berufskriegern und Freiwillige zusammengesetztes stehendes Heer investiert. Auch wurde das Geld zum Bau von Festungen und den Ausbau der Hauptstadt Havarôla verwendet.

Neben den Eroberungen waren die Egripaten aber auch um den inneren Ausbau des Reiches bemüht. So baute man wie im Norden eine Reichsstraße, die von Havarôla ausgehend quer durch das Reich verlief und später in Ganira endete. Weiterhin bemühten sich die Herrscher um den Aufbau einer Flotte und um die Förderung des Meereshandels mit den Inseln der Magier und dem südlichen "Nachbarn", dem Khalcydischen Reich. Vor allem zwischen Sollêna und Ghormas entwickelte sich ein reger Warenaustausch. Aus dem Khalcydischen Reich kamen vorwiegend Seide und Gewürze, während die Marimarga vor allem Getreide und Schmuck exportierte. Von den Inseln der Magier kam vorwiegend Papier und Wein im Austausch gegen Getreide und Fleisch.

Durch die Förderung der Städte entwickelte das Reich neben kriegerischen auch die wirtschaftlichen Kräfte. Vor allem der Handel nahm zwischen 110 und 140 n.M. eine rege Entwicklung. Fergiartische Händler aus der Marimarga ließen sich schon auf den Inseln der Magier nieder, als der Handel der Satisanzia diesen Markt erst entdeckte. Wir hatten bereits im letzten Abschnitt über die
Begegnung zweier Händler aus den beiden Reichen berichtet. Man konnte bei Ausgrabungen mehrere Häuser fergiartischen Händler freilegen. Anscheinend gab es wirklich bereits so etwas wie Handelshäuser oder Händlervereinigungen, die ihre Mitglieder auf die Inseln schickte. Neben dem Großgrundbesitz nahmen auch die Städte über ihre Gilden und deren wirtschaftliche Macht Einfluß auf die Reichspolitik. Im Unterschied zur Satisanzia gab es in der Marimarga keinen Reichsrat. Wohl aber hielt sich der Loinna ein Beratungsgremium, in dem neben dem Adel auch die Städte vertreten waren. Erst durch den Thronfolgekrieg zwischen 180 und 193 n.M. gewann der Rat einen größeren Einfluß auf die Reichspolitik. Dennoch blieben die Herrscher der Marimarga durch ihr stehendes Heer und ihre wirtschaftliche Macht dank des Kronlandes unabhängiger als selbst der Parsha des Großreiches.

Aufgrund der schwindenden Macht von Alataris und dem Aufstieg der Könige von Iaxenios gelang den Egripaten in der Mitte des zweiten Jahrhunderts die Ausdehnung der westlichen Reichsgrenze in die von den Inseln der Magier kontrollierte Küstenregion. Höhepunkt dieses Vorstoßes war die Eroberung der wichtigen Hafenstadt Ganira im Jahr 155 n.M. Auch wenn ihre Herrschaft dort zunächst nur fünfundzwanzig Jahre dauerte, so profitierte die Marimarga doch vom kulturellen und wirtschaftlichen Einfluß der Stadtstaaten. Mit der Beherrschung eines wichtigen Hafens nahmen nicht nur die maritimen Kenntnisse zu, sondern auch der Handel nahm einen großen Aufschwung. Die ansässigen Schiffsbauer halfen beim Aufbau einer eigenen Handels- aber auch militärischen Flotte. Hatte man sich die Schiffe - und häufig auch die Seeleute - vorher noch teuer zukaufen müssen, so konnte man diese nun in Eigenregie bauen und bemannen. Im Unterschied zum doch eher als Landmacht bedeutenden Khalcydischen Reich, handelte es sich bei den Städten der Inseln der Magier doch eher um Seemächte. Nicht zu unterschätzen ist weiterhin die Zunahme der Kenntnisse im alchemistisch-medizinischen Bereich. Auf den Inseln der Magier hatten die Versuche alchemistischer Transformationen eine lange Tradition. Neben den materiellen Aspekten hatten auch die medizinischen Kenntnisse durch die alchemistischen Experimente zugenommen. War man in der Marimarga vorher auf reisende Praktikanten oder - bedingt durch die Schwäche von Alataris - die Dienste von Überläufern angewiesen, so wandte sich nun eine Reihe interessierter Fergiartuya ernsthaft dem Studium und der Ausübung der alchemistischen Künste zu. In der Bezeichnung "Inseln der Magier", der fergiartischen Ursprungs ist ("Arkêne Mêyalun") kommt unter anderem auch die Bewunderung für den allgemeinen kulturellen Vorsprung der Stadtstaaten zum Ausdruck, der sich eben auch auf das Gebiet der Alchemie erstreckte. In der Marimarga entwickelten vor allem die medizinischen Aspekte der Alchemie eine große Bedeutung; damit einhergehend stieg auch die sanitäre Lage fergiartischer Städte in der Marimarga.

Auch auf dem künstlerischen Gebiet vor allem der Architektur und Literatur ging ein großer Einfluß von den Inseln der Magier aus. In der Zeit zwischen 150 und 250 n.M. wurde die Baukunst der Stadtstaaten für die Architektur der Marimarga so bedeutend, daß sich eine Mischarchitektur entwickelte, in der das fergiartische Element schwächer ausgeprägt war als im Norden. So findet man vor allem im Westen der Marimarga viele Gebäude im Stil der Stadtstaaten. Auch in der weit im Nordosten liegenden Hauptstadt Havarôla findet man einige Bauwerke dieser Art. Wichtige Elemente dieser Architektur sind Säulen, Kolonnaden, Bögen und dekorative Momente wie z.B. Mosaiken. Auch die Verwendung von Tonnengewölben wurde für die fergiartische Seite der Architektur wichtig.
Auf dem Gebiet der Literatur kam es durch die Berührung mit Gedichten, Epen und Theaterstücken der Inseln der Magier zu einem Aufschwung des Interesses für die eigene Kultur. Wie im Norden drei Jahrhunderte zuvor bemühte man sich um die
Verschriftung alter Volkssagen und Mythen sowie um die Verwendung traditioneller Themen und Motive für das eigene Schaffen. Allerdings hatte das Fehlen einer eigenen Schrift die Folge, daß man sich hierbei der fremden Sprache und Schrift bedienen mußte. Erst mit der Aufnahme ins fergiartische Großreich und der Verwendung der über den satisantischen Konflikt mit Iaxenios kennengelernten fergiartischen Schrift fand man zu einem Ausdruck in der eigenen Sprache. Wenn es später auch zur Übersetzung eines großen Teils der frühen Literatur in das Fergiartische kam, so blieb die Verwendung des Alatarischen auch später erhalten.

Als der letzte Herrscher der Egripaten, Begauta II. im Jahre 180 n.M. starb, kam es zu einem Thronfolgekrieg im Reich. Die ambitionierte Witwe des Loinna, Gesalina, versuchte im Konflikt mit dem Rat an der Macht zu bleiben. Während sich ein Teil der Patìshu und der adligen Großgrundbesitzer mit der Witwe arrangierte, scharte sich der andere Teil um den Adligen Dirkena aus der Familie der Belarmi. Vor allem die westlichen Provinzen bevorzugten Dirkena, während die Adligen des Kernlandes und des Nordens zumindest äußerlich Gesalina - und damit der Familie der Egripaten - die Treue hielten. In der Folgezeit kam es zu militärischen Konflikten zwischen den beiden Seiten. Hiervon profitierte zunächst der König von Iaxenios, der 181 Ganira zurückeroberte und die Küstenregion seiner Kontrolle unterwarf. Im Zuge der inneren Auseinandersetzung gab die Marimarga ihre Kontrolle über diese Gegend rasch auf. Bemüht ihre Vormachtstellung gegenüber den anderen Stadtstaaten auszubauen, nutzten die Iaxenioi ihrerseits ihren Vorteil nicht weiter. Der kulturelle und wirtschaftliche Austausch zwischen den beiden Gebieten blieb jedoch weiterhin erhalten. Nachdem die Fergiartuya Ganira verloren hatten, wurde Padêra für einige Zeit zum wichtigsten Hafen der Marimarga.

Der militärische Konflikt zwischen den beiden Parteien führte auf wirtschaftlichem Gebiet zu einer unterschiedlichen Entwicklung, die auf den Unterschieden in der Bevölkerungsstruktur beruhte. Im Westen bekam die indigene Bevölkerung, die zu Dirkena hielt, ein größeres Gewicht auf die Herrschaftsstrukturen. So wurde die Stelle zumindest eines Patìsha von einem Adligen der ansässigen Bevölkerung eingenommen. Auch die Städte konnten ihren Einfluß auf die Politik des Westteils erweitern, was auch zu einer minderen Steuerlast führte. Im Osten konnten die adligen Großgrundbesitzer ihren Einfluß im Kronrat weiter ausbauen. Da besonders ihre militärische Treue zur Herrscherwitwe deren Macht garantierte, organisierten sie sich hinter fünf Mitgliedern des Beratungsgremiums, die als ihre Stimme gegenüber dem Herrscher fungierten. In der Folgezeit entwickelte sich hier eine wichtige Partei der Reichspolitik. Weil die Befürworter Dirkenas den Aktivitäten im Rat während des Konflikts naturgemäß fernblieben, hatten sie nach dem Herrschaftsantritt Dirkenas einen Nachteil gegenüber den "alten" Reichsteilen. Dies konnten sie jedoch durch ihren wirtschaftlichen Vorteil kompensieren. Denn die größere Macht der grundbesitzenden Adligen im Osten brachte eine gewisse Unterentwicklung des Handels mit sich. Zwar war der Osten aufgrund seiner Struktur auf dem agrarischen Sektor im Vorteil, doch der Westen holte auch auf diesem Gebiet stetig auf.

Nach den ersten militärischen Auseinandersetzungen, in denen keine der beiden Seiten einen entscheidenden Vorteil erringen konnte, arrangierte man sich mit der Situation. Allerdings tat Gesalina wenig in der Frage der Nachfolge. Obwohl besonders die Großgrundbesitzer auf eine Heirat drängten und die unverheirateten Adligen sich um die Hand der Herrscherwitwe bemühten, handelte die Herrscherin nicht. Anscheinend war es ihr vor allem um die eigene Macht gegangen. Sie und Begauta hatten keine Kinder miteinander gehabt und im Alter von zweiundfünfzig Jahren war es fraglich, ob Gesalina noch einmal gebären konnte. Vielleicht war sie auch unfruchtbar. Dennoch hätte ja auch eine Adoption einen Nachfolger produzieren können; im schlimmsten Fall hätte ihr Ehemann und dessen Familie die Nachfolge angetreteten. Als Gesalina jedoch 193 n.M. starb, zerfiel die Opposition des Westens in kürzester Zeit. Dirkena konnte noch im selben Jahr in der Hauptstadt einziehen und den Thron besteigen.